Mein Haus, das Denkmal

In über 150 Kulturdenkmälern in Schleswig-Holstein können Besucher am morgigen Tag des offenen Denkmals durch Geschichte gehen. In einigen wird sogar gewohnt.

FLENSBURG Wenn Ilona Diedrichsen nach dem Eindecken durch den Frühstücksraum des „Brückenhauses“ geht, klirren die Kaffeetassen. „Die Fußböden in so einem alten Haus sind schon etwas Besonderes“, erklärt die Betreiberin des kleinen Hotels in Glückstadt (Kreis Steinburg). Die alten Böden in der ehemaligen Bier- und Milchwirtschaft aus dem 17. Jahrhundert sind außergewöhnlich beweglich für ihr Alter. Auch in der oberen Etage, in der nach der aufwändigen Sanierung des Hauses 2015 vier weitere Doppelzimmer entstanden, ist die lange Geschichte des Hauses bei jedem Schritt spürbar. „Unser Haus hat fast ein bisschen Seegang.“

Das kennt auch Vera Detlefsen. Die Architektin hat vor sechs Jahren ein Altstadthaus in Lübeck gekauft, Ersterwähnung 1309. „Von der Vorstellung, in einem Wohnraum gäbe es immer rechte Winkel, muss man sich verabschieden“, sagt sie. Nicht immer ließen sich Wände und Böden nachträglich ausgleichen. „Da werden eben die Möbel angepasst.“

Modernes Wohnen in historischen Gebäuden
Böden mit Seegang, schiefe Wände, für heutige Wohngewohnheiten ungewöhnliche Raumaufteilungen und -deckenhöhen – das sind einige der Herausforderungen, die besonders dann zum Tragen kommen, wenn ein altes Haus nicht als Museum betrieben, sondern bewohnt wird. Doch „dafür, heutige Wohnansprüche in einem denkmalgeschützten Haus umzusetzen, findet sich meist eine Lösung“, sagt Henrik Gram, Mitarbeiter der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt Flensburg.

Viele Mieter und Hauseigentümer suchen zudem inzwischen ganz gezielt nach solchen Objekten, weiß Schleswig-Holsteins Landeskonservator Dr. Michael Paarmann. Hohe Decken mit Stuck und gut erhaltene Holzfußböden sind beliebte Suchkriterien in Immobiliendatenbanken. Bei ihm und seinen Kollegen aus dem Landesamt für Denkmalpflege in Kiel laufen Fragen zu Fördermöglichkeiten und Steuerabschreibung auf, während Henrik Gram und seine Kollegen der Unteren Denkmalschutzbehörden in den Kreisen und kreisfreien Städten Schleswig-Holsteins für die Beratung vor Ort zuständig sind. Sie werden aktiv, wenn an einem geschützten Haus größere Um- oder Anbauten vorgenommen werden sollen. „Solange nichts verändert wird, genießt ein Gebäude Bestandschutz“, erklärt Gram. Zudem komme es darauf an, welche Teile eines Gebäudes unter Schutz gestellt seien.

Alten Charme freiwillig erhalten
Im Fall der ehemaligen Pestalozzischule in Osterhusum sei der vorgeschriebene Schutz gar nicht so umfangreich, sagt Michael Graf von der Wohnprojekt staTThus eG. Dennoch wollen er und seine Mitstreiter möglichst viel vom Schulcharme erhalten, wenn sie in die ehemaligen Klassenräume der Volks- und späteren Förderschule einziehen. Skizzen für den Umbau des zwischen 1951 und 1953 errichteten Klinkerbaus gibt es bereits. 22 Wohnungen sind geplant.

Noch sieht es in dem seit über fünf Jahren leerstehenden Gebäude jedoch aus, als seien Schüler und Lehrer nur in den Ferien: In kleinen Schaukästen im Flur hängen Projektarbeiten von Schülern, fast jedes Klassenzimmer hat noch eine Tafel, im ehemaligen Chemie- und Physikraum erinnern quadratische Tische mit zahlreichen Steckdosen an praktischen Unterricht. Viele dieser Erinnerungsstücke wollen die zukünftigen Bewohner auch ganz ohne entsprechende Auflagen in ihr Konzept integrieren: Die Experimentier-Tische könnten zu Kochinseln umgebaut werden, die ehemalige Gemeinschaftsküche soll weiterhin Raum für gemeinsame Treffen bieten, auch der lange Schulflur soll – zumindest im Obergeschoss –Zeuge der Hausgeschichte bleiben.

Die Schule wurde nach Einführung des neuen Denkmalschutzgesetzes laut Graf als erstes so junges Gebäude in Schleswig-Holstein unter Schutz gestellt. „Gebäude zu erhalten klappt aber nur, wenn auch jemand da ist, der sich drum kümmert“, ergänzt Irene Fröhlich, ebenfalls Mitglied des Wohnprojektes, das weiterhin zukünftige Schulbewohner sucht.

Nachlässe und Entdeckungen
Auch die ehemalige Zündholzfabrik in Lauenburg (Kreis Herzogtum Lauenburg) stand lange leer. 1853 als Gas-Erleuchtungsanstalt gebaut und wenig später zur Fabrik für Zündhölzer erweitert, wurde der Standort 1963 aufgegeben. 1992 eröffnete die Friedrich-Naumann-Stiftung nach einem umfangreichen Umbau in dem ehemaligen Industriegebäude eine Bildungsstätte. Nach einem weiteren kurzen Leerstand hat heute das Deutsche Jugendherbergswerk das Industriedenkmal in Betrieb. Gäste, die durch die riesige Zündholzskulptur vor dem Eingang neugierig geworden sind, finden im 1. Geschoss eine kleine Ausstellung zur Historie. Hausleiterin Gabriele Seidel hat bereits weitere Ideen, wie sie und ihr Team die Geschichte des Hauses wieder sichtbarer machen können. Einige Säcke Zündhölzer ohne Köpfe, die sie quasi als Nachlass beim Einzug vorgefunden haben, könnten dabei eine Rolle spielen.

Nachlässe der besonderen Art hat auch Vera Detlefsen in ihrem Lübecker Altstadthaus entdeckt. Als sie ihr heutiges Wohn- und Arbeitshaus in der Kleinen Altefähre 17 in Lübeck renovierte, kam an einer der Bohlenwände eine alte Renaissance-Malerei zum Vorschein. Freigelegt wurde ein Bild, das einen Mann und eine Frau zeigt. Die beiden gehören nun zu den stummen Bewohnern des Altstadthauses. Häufig verbergen sich solche Zeugnisse vergangener Zeiten unter Teppichen und Linoleumböden, hinter Tapeten und neuem Mauerwerk – Hinterlassenschaften verschiedener Bewohner.

Zwei Jahre lang legte Vera Detlefsen Dachbalken frei, ersetzte das Flachdach wieder durch ein Satteldach, öffnete zugemauerte Fenster, schwemmte die Fassade mit Muschelkalk, brachte Licht in den zugebauten und -gewachsenen Innenhof, verstärkte alte Holzwände mit gepressten Strohplatten und ersetzte moderne Türen durch alte. „Ich wollte, dass die Geschichte an dem Haus ablesbar bleibt“, erklärt Detlefsen.

„Die lange Geschichte gibt dem Haus eine besondere Atmosphäre“, sagen auch die Gäste des Glückstädter „Brückenhauses“. Die sechs Zimmer des kleinen Hotels sind nach Schiffen benannt, genau genommen nach alten Walfängern, die einst von Glückstadt nach Grönland fuhren. Die hätten zwar nicht direkt was mit der Geschichte des Hauses, aber dafür mit der der Stadt zu tun, erklärt die Hotelbesitzerin und fügt hinzu: „Bestimmt haben die Walfänger damals nach großer Fahrt unter diesem Dach auch ganz schön getrunken“. Denn das Haus, das ursprünglich an einer Brücke lag, war von Beginn an ein Wirtshaus. Erstmals erwähnt wurde es 1643.

Davon, was es heißt, sich im eigenen Alltag auf ein altes Haus einzulassen, können etliche Bewohner, Betreiber und Eigentümer erzählen. Viele von ihnen öffnen am Tag des offenen Denkmals am Sonntag, 11. September, ihre Türen. Auch in den vier beschriebenen Häusern sind Gäste herzlich willkommen.

Informationen zu diesen und weiteren geöffneten Denkmälern unter: www.tag-des-offenen-denkmals.de

veröffentlicht in: Schleswig-Holstein Journal